Etwas abseits der klassischen organisatorischen Fragen rund um das Jubiläum und die Beethoven Jubiläums Gesellschaft wollen wir uns in unserer Interviewreihe “3 Fragen an...” den persönlichen Standpunkten und Interessen der BTHVN2020-Persönlichkeiten widmen.
Dieses Mal gehen die 3 Fragen an Elvin Ruić, der seit 2018 als Projektleiter in der Beethoven Jubiläums GmbH für die Organisation von verschiedenen Großveranstaltungen verantwortlich ist. Seine beruflichen Wurzeln liegen jedoch in der freien Szene.
Welches ist dein Lieblingsprojekt des Beethoven-Jubiläums?
Es ist natürlich schwierig sich für ein Lieblingsprojekt zu entscheiden, da man alle Projekte mehrere Jahre begleitet hat. Insofern möchte ich besonders die hervorheben, bei denen man Brücken gebaut und Menschen zusammengebracht hat.
Das sehe ich beispielsweise beim Beethoven Marathon: Akteure der sogenannten Hochkultur haben in Bonn klassische Orchesterkonzerte gespielt und alle neun Beethoven-Symphonien aufgeführt. Das aber nicht nur in der Oper, sondern auch an außergewöhnlicheren Spielorten. Parallel haben an diesem „Marathon“-Tag in 12 Stunden zig Akteure aus der freien Szene - es waren insgesamt über 60 Ensembles und Einzelkünstler an 31 Spielstätten - parallel spartenübergreifende Veranstaltungen präsentiert. Dadurch wurde gezeigt, dass sich alle für ein Thema begeistern und da auch Hand in Hand zusammenarbeiten können. Es kam so viel Kreativität zusammen - das hat mich begeistert.
Auf der anderen Seite sehe ich das Beethoven Pastoral Project - ein Projekt, das den Zahn unserer Zeit trifft, da der Klimawandel mittlerweile – zum Glück! – als real anerkannt wird. Bis dato war es in der Musikbranche nicht so weit verbreitet, sich auch hier für das Klima einzusetzen. Das Pastoral Project hat mit Künstlern weltweit dazu aufgerufen, sich für Naturschutz, eine nachhaltige Entwicklung und die Implementierung der SDGs (Sustainable Development Goals) einzusetzen. Ich fand es spannend, dass sich hunderte Künstler von allen Kontinenten (bis auf die Antarktis natürlich) aus allen möglichen Musikgenres zusammengetan haben, um dasselbe Signal in die Welt rauszuschicken: Wir brauchen mehr Klimaneutralität! Die SDGs der Vereinten Nationen sind relevant und die Musik muss auch einen entscheidenden Teil dazu beitragen. Die Hip Hip-Kombo aus Südafrika zieht am gleichen Strang wie Paavo Järvi und die weltweit bekanntesten Orchester. Das war für mich ein sehr beeindruckendes Engagement. Jetzt haben wir mit diesem Projekt natürlich nicht den Klimawandel als Herausforderung gemeistert, dafür aber in der Musikbranche im Jahr 2020 ein entscheidendes, wegweisendes Signal gesetzt. Die freie Szene und die Hochkultur arbeiteten Hand in Hand. Dass in diesem Beethoven-Jubiläum so viele Brücken geschlagen wurden, ist für mich aufregend. Einige Leute haben befürchtet, dass es ein rein hochkultureller Geburtstag werden würde, in dem alle neun Symphonien rauf und runter gespielt würden. Aber hier haben wir eine Reichweite erzielt, die wirklich unglaublich ist und die so mit einem Kulturprojekt noch nicht erreicht wurde.
Der Beethoven Marathon auf lokaler, regionaler Ebene und das Pastoral Project auf internationaler Ebene sind zwei ganz hervorragende Projekte.
Welche Unterschiede und Ähnlichkeiten siehst du zwischen Hoch- und Subkultur?
Ich sehe bei Hochkultur und Subkultur sehr viele Gemeinsamkeiten: Beides ist Kultur, beides ist Ausdruck unseres Lebensstils. Diese Kultur schafft Begegnung und Veranstaltungen, die Leuten über den alltäglichen Bedarf hinaus Inhalte geben, die sozusagen das Leben lebenswert machen. Insofern erfüllen Hochkultur und Subkultur denselben Zweck, sie haben nur andere Formen und vor allem andere Zielgruppen.
Große Unterschiede sehe ich in den Kosten und Finanzierungsgrundlagen. Da fließen ganz andere Summen, wenn wir über eine klassische Produktion in einem Opernhaus oder über eine Technoparty unter einer Brücke sprechen. Weitere Unterschiede sind natürlich die Organisationswege und der Vorlauf. Das heißt, wenn du in der freien Szene veranstaltest oder wenn du in der hochkulturellen Szene ein Projekt umsetzt, sind die Strukturen komplett verschieden. In der freien Szene kann man sogar ganz ohne Projektförderung und lange, formale Vorbereitung etwas starten. Das heißt, du kannst dich morgens entscheiden eine Veranstaltung zu machen und sie abends umsetzen. Dieses Spontane, Dynamische, teilweise Verbotene - das schafft natürlich auch seinen Reiz, der im Durchschnitt eher bei jüngeren Leuten interessanter ist. Auf der anderen Seite schafft die Hochkultur einen Reiz dadurch, dass an Produktionen jahrelang gearbeitet wird und dann ein so vollendetes Werk auf die Bühne gebracht wird, was in der Subkultur niemals zu sehen sein könnte.
Alles hat seine Daseinsberechtigung und alles muss bedient werden. Genau das ist es ja, was am Ende eine Stadt wie Bonn lebenswert macht. Dass man kulturelles Angebot wahrnehmen kann - egal ob man Schüler, Student oder Arbeiter ist, Kind oder alter Mensch, hier geboren oder dazu gezogen.
Wie bringt man die beiden Ausprägungen Sub- und Hochkultur näher zusammen und was wünscht du dir mit Hinsicht auf die Zukunft?
Einen sehr guten Weg Sub- und Hochkultur näher zusammen zu bringen, den wir auch in unserer GmbH gezeigt haben, ist der der Projektförderung. So gibt man den Leuten aus der freien Szene schnellere und einfachere Möglichkeiten, Projekte beispielsweise mit einem hochkulturellen Bezug, wie dem Beethoven-Bezug, umzusetzen. Da lassen sich zahlreiche Beispiele nennen, in denen das erfolgreich geglückt ist. Diese Projektförderung, mit und auch ohne hochkulturellen Bezug, muss perspektivisch unbürokratischer werden, zum Beispiel mit mehr Festbetragsfinanzierung und weniger Fehlbedarfsfinanzierung.
Man muss mehr Dialoge führen und verstehen, dass die Subkultur auch immer ein Spiegel der Hochkultur ist. Eine alternative Szene, wie beim Rave unter der Brücke, entsteht ja erst im Gegenspiel zu etablierten, hochkulturellen Strukturen und Institutionen. Ohne das eine kann es das andere nicht geben.
Die freie Szene und die Subkultur braucht es, um neue Hochkulturformen zu entdecken. Hochkultur wird ja nicht direkt geboren, sondern sie wächst und etabliert sich und verschafft sich Anerkennung über Jahrzehnte, wenn nicht sogar über Jahrhunderte. Deswegen ist es ganz wichtig, beiden Kulturen Raum zu geben, um sich austauschen und begegnen zu können. Ebenso müsste die Politik mutiger sein, beide sich begegnen zu lassen, die Subkultur auch mal in einen hochkulturelleren Kontext zu ziehen und damit letztendlich diese vermeintlichen Grabenkämpfe beiseitelegen zu können. Es geht nicht darum, ob das eine oder das andere finanziert wird. Es geht um einen kulturellen Pluralismus in unserer Gesellschaft, der diese Stadt und dieses Land lebenswert macht und jedem seinen nötigen Raum zur Selbstverwirklichung bietet.
Was ich mir für die Zukunft wünsche ist, dass mehr von diesen Dialogen geführt werden. Dass die Anliegen einer freien Szene in der Stadt ernster genommen werden, in der Hochkultur mehr Experimente gemacht werden und mehr alternativeren Kunstformen aus der freien Szene, beispielsweise mit den Subventionen einer Hochkultur, die große Bühne geboten wird. Das heißt, da müssen Brücken gebaut werden: Die Subkultur lernt, dass die Hochkultur einen viel längeren Vorlauf hat, viel komplexere, aufwendigere formale Bedingungen erfüllen muss, aber auch fantastische Ergebnisse präsentieren kann. Und die Hochkultur lernt, dass die Subkultur schnell, dynamisch und unberechenbar ist – aber dafür auch unheimlich kreativ.
Diesen Wünschen können wir uns nur anschließen!
Euer BTHVN2020-Blogteam
Vor ab,
- ein Lob an die Fotografin - ein aussagekräftiges Bilddokument!
- ein Lob an die Redakteurin - richtige und wichtige Fragen an einen der Verantwortlichen mit Raum für Antworten!
- ein Lob an den Interviewten, der seine persönliche Motivation für BTHVN2020 mit elementaren kulturpolitischen Perspektiven verbindet!
Drei Fragen und dazu gibt es drei Antworten, die rückblickend und
vorausschauend sind - eine Grundlage für kulturpolitisches Denken und Handeln!
BTHVN2020 ist auch die Saat für eine kulturpolitisch wichtige Diskussion, die Ganzheitlichkeit von Kultur im Blick zu haben, den gesellschaftlichen Dialog einzufordern und zu führen!